17. Juli: 2025: Wegweisendes Urteil des Supreme Court: Eigentumsrechte für Adivasi-Frauen
Am 17. Juli 2025 stellte der Oberste Gerichtshof Indiens (Supreme Court) klar, dass die kulturelle Zugehörigkeit kein Vorwand für eine diskriminierende Behandlung sein darf. Verhandelt worden war eine Erbschaftsstreitigkeit bei der Gond-Gemeinschaft im indischen Bundesstaat Chhattisgarh. Das Vermögen des verstorbenen Vaters war ungleich auf seine fünf Söhne und seine Tochter Dhaiya verteilt worden. Als Dhaiya starb, klagten ihre Kinder vor einem ordentlichen Gericht, um ihren Anteil am Erbgut ihres Großvaters mütterlicherseits, Bhajju Bhajan Gond, einzufordern. Ihre Begründung: Sie, die Kinder, würden hinduistischen Traditionen folgen und daher habe ihre Mutter nach geltendem hinduistischem Recht die gleichen Ansprüche auf das gemeinsame Vermögen gehabt wie ihre Brüder. Der Fall kam 1992 vor ein erstinstanzliches Gericht. Dieses wies die Klage ab und begründete die Ablehnung damit, dass im konkreten Fall weder Beweise für eine egalitäre Gond-Tradition, wonach die Tochter das Familienvermögen erhalten könne, noch dafür vorlagen, dass die Familie anerkannten hinduistischen Praktiken folgte. Das erste Berufungsgericht bestätigte in seinem Urteil von 2008 diese Entscheidung. Die Kläger legten daraufhin 2009 Berufung beim High Court (eine Art Oberlandesgericht) von Chhattisgarh ein, der in seinem Urteil von 2022 die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigte. Vor allem lehnte das Obergericht die Einlassung des Rechtsanwalts der Klägerseite ab, dass in Ermangelung von Beweisen für eine Gewohnheit der Rechtsgrundsatz „Gerechtigkeit, Billigkeit und guter Glauben” Vorrang haben müsse. Die Kläger legten 2023 den Fall dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court) vor.
Der Oberste Gerichtshof schloss sich insoweit der Auffassung der Vorinstanzen an, dass das Hindu-Recht keine Anwendung finden könne, da Abschnitt 2(2) des Hindu Succession Act von 1956 dessen Anwendung auf registrierte Stammesvölker (Schedule Tribes) eindeutig ausgeschlossen habe. Der Supreme Court verwies jedoch zum einen darauf, dass in Fällen, in denen die Gond-Traditionen keine Aussagen zu den Erbansprüchen von Frauen (Töchtern) auf das Vermögen ihrer Eltern enthielten, nicht davon ausgegangen werden könne, dass Frauen ein Erbteil verweigert werden könne. Des weiteren stellten die Richter fest, dass nicht die Klägerin beweisen müsse, dass ein Brauch zugunsten von Frauen existiere, sondern die Beklagten beweisen müssten, dass Frauen der Tradition nach keinen Anspruch auf das Erbe hätten. Vor allem aber urteilte der Oberste Gerichtshof, dass soweit keine eindeutige Traditionen oder andere gesetzliche Regelungen einer Stammesgemeinschaft beigebracht werden können, die eine Erbschaft von Töchtern (Frauen) ausschließt, in der Tat der Rechtsgrundsatz der Gerechtigkeit, Billigkeit und des guten Glaubens zur Anwendung komme.
Der Supreme Court berief sich auf mehrere frühere Fälle, in denen dieses Prinzip angewendet worden war. Darunter auch ein Fall vom High Court von Chhattisgarh. Der hatte die Eigentumsrechte weiblicher Erben bestätigt, und so entschied der Sepreme Court zugunsten von Dhaiya und ihren Erben. Laut Oberstem Gerichtshof könne, soweit gesetzlich nicht anders vorgeschrieben, das Eigentumsrecht für weibliche Erben nicht verweigert werden, weil dies gegen die Gleichbehandlung und das Verbot der Diskriminierung verstoßen würde. Die Verweigerung des Anteils von Dhaiya am Vermögen ihres Vaters, wenn die Tradition dazu schweigt, sei daher nicht rechtmäßig. Die Berufungskläger als gesetzliche Erben von Dhaiya haben Anspruch auf ihren gleichen Anteil am Vermögen des Vaters.
Adivasi-Gemeinschaften gelten durchaus als egalitär und demokratisch, in denen jeder und jedem gleiche Anteil oder gleiche Rechte zusteht. In der Praxis sind jedoch die Rechtsansprüche von Adivasi-Frauen seit langem von Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt und diese Diskriminierung wird inzwischen eher als normal hingenommen.
Zum Urteil, und zur Frage, was dieses Urteil mit Blick auf Land- und Erbrechte bedeutet, und wie dieses Urteil bei den Adivasi-Frauen aufgenommen wird, erörtert ausführlicher ein Artikel im Heft 3 der Zeitschrift SÜDASIEN (geplantes Erscheinen: Ende September 2025).
Theodor Rathgeber