Adivasi-Koordination

Solidarität mit
Indiens
Ureinwohnern

Die Kolhan-Region (Jharkhand) im Widerstand gegen Industrieprojekte

Die südöstlichen Distrikte des Bundesstaates Jharkhand – West Singhbhum, Ost Singhbhum und Saraikela-Kharsawan – sowie angrenzende Gebiete im Nachbarstaat Orissa sind auch unter dem Namen Kolhan bekannt. Dies ist die Heimat der Ho-Adivasis, die sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Enteignung und Ausbeutung durch die britische Kolonialmacht widersetzt hatten. Diese immer wieder umkämpfte Region ist sehr reich an wichtigen Ressourcen für die Industrie: Holz aus den ausgedehnten Wäldern, Hydroenergie aus den zahlreichen Flüssen in dem bergigen Land, im modernen Zeiten vor allem Bauxit, Eisenerz und Uran. Hier sind die Industriestadt Jamshedpur mit dem Stahlwerk des indischen Großunternehmens Tata, Erz- und Kohle-Minen sowie auch die sich derzeit im weiteren Ausbau befindlichen Uran-Minen, aus denen der Stoff für die indische Atombombe kommt.

Vor allem aufgrund der reichen Erzvorkommen haben in jüngerer Zeit zahlreiche indische und auch internationale Unternehmen Planungen für mittlere und größere Industrieprojekte genau in dieser Region unternommen. Und sie werden darin von der Landesregierung des erst Ende 2000 – vorgeblich als Adivasi-Bundesstaat – geschaffenen Jharkhand noch ermuntert. Die Adivasi-Organisation BIRSA dokumentiert seit einiger Zeit diese Entwicklungen und hat aus Pressemeldungen über entsprechende „Memorandums of Understanding“ eine Liste mit über 40 solcher Projekte erstellt. Eine ähnliche Liste hat die Landesregierung von Orissa sogar veröffentlicht (beide Listen sind abgedruckt in dem Materialband „Adivasis of Rourkela“, vgl. Zusammenfassung in diesem Heft).

Die Adivasis in der Region haben von diesen Entwicklungen keinen Vorteil. Sie verlieren – oft ohne jegliche Entschädigung – die für ihre subsistenz­orientierte Wirtschaftsweise und ihr Überleben notwendigen Ressourcen Land, Wald und Wasser und sind den negativen Auswirkungen der Industrialiserung ausgeliefert: Umweltzerstörung, Marginalisierung, Verlust der Identität und der Kultur. Gerade in den Erzgebieten von Kolhan wurden in den letzten Jahrzehnten aufflammende Proteste der Adivasis immer wieder gewaltsam unterdrückt. Angesichts der zahlreichen neuen Industrieprojekte – die schöne Benennung „green field industries“ kann nur als bitterster Zynismus begriffen werden –  steigen die Befürchtungen, aber es erwacht auch der alte Wider­stands­geist neu.

Unabhängig von politischen Parteien haben sich regionale Adivasi-Organisationen dazu geäußert und z.T. neue Bündnisse mit lokalen Widerstands­gruppen geschlossen, wie die im Oktober 2005 gegründete „Macha Kumuti“. Der Name wurde entsprechend der Tradition der Ho-Adivasis gewählt und bedeutet einfach „Zusammenkommen unter dem Kumuti-Baum“. Am 10. November 2005 erklärte Macha Kumuti bei einer Kundgebung in Chaibasa, dass sie gegen die Absichten der Regierung sei, es denjenigen Industrieunternehmen und multinationalen Firmen noch leichter zu machen, welche die reichen Bodenschätze der Region ausbeuten und dort ihre Anlagen errichten wollen. Niemand, der ein Abkommen mit der Regierung von Jharkhand schließe, werde auch nur einen Zoll breit Land erhalten, um Industrieanlagen zu errichten. „Wir geben ihnen Land einzig für ihren Friedhof.“ Die Versammlung rief dazu auf, den Zugang zu den Orten zu blockieren, an denen die feierliche Grundsteinlegung durch die Landesregierung am Vorabend des Jharkhand-Tages (14. November) geplant war. Macha Kumuti verabschiedete zudem einen Protestbrief an den indischen Staatspräsidenten, in dem die Rechte der Adivasis hervorgehoben und die Vorgehensweise der Regierung kritisiert wird.

Protestschreiben von Macha Kumuti an den indischen Staatspräsidenten (Auszüge)

“Wir, die Adivasis/Mulvasis [d.h. die Ureinwohner] protestieren gegen den Landerwerb für große Industrieanlagen und Bergbauprojekte aus folgenden Gründen:

  1. Das angestammte Land der Adivasis ist eine Gabe der Natur – lange bevor Staat und Regierung entstanden sind. Aus diesem Grund kann das Land nicht enteignet werden. Nach dem Brauch und der Praxis der Adivasis ist das Land nicht individuelles, sondern gemeinschaftliches Eigentum. Deshalb ist ihr Land nicht erwerbbar.
  2. Für die 41 großen und kleineren Projekte im Kolhan-Bezirk, die zwischen der Regierung und der Industrie beschlossen wurden, ist keine Zustimmung des Beratungsgremiums der Stämme (Tribal Advisory Council) eingeholt worden. Dieses Beratungsgremium der Stämme wurde nach der V. Zusatz der indischen Verfassung eingerichtet. Daher verstoßen alle diese geschlossenen Vereinbarungen gegen die indische Verfassung.
  3. Nach dem Erlass für die registrierten Stammesgebiete in Bihar aus dem Jahr 1969, muss alles Land, das durch illegale Methoden von Nicht-Adivasis erworben wurde, an die Adivasis zurückgegeben werden. Die Politik dieser selben Regierung, die Adivasis von ihrem Land zu vertreiben, führt zur Zerstörung der Existenz und der Identität der Adivasis.
  4. Wieso stehen diese großen Industrieprojekte außerhalb des Geltungsbereichs des berühmten „Samata“-Urteils [über den Vorrang der Stammesrechte] des Obersten Gerichtshofes  aus dem Jahr 1997? Und wieso hat die Regierung ihre ganze Kraft dafür eingesetzt, um das Land für diese Industrieprojekte zu erwerben?
  5. Nach Artikel 50 Absatz 7 des Chota Nagpur Tenancy Act von 1908 [über die Landrechte der Adivasi] hat der zuständige Beauftrage nicht das Recht, irgendwelche Teile des Landes zu erwerben, die Gottheiten geweiht sind, an denen traditionelle Zeremonien durchgeführt oder die Toten bestattet werden. In allen Dörfern, wo jetzt das Landerwerbsverfahren im Gange ist, existieren solche heiligen Orte, wie sie in dem Gesetzesartikel genannt sind.
  6. Diesen gesetzlichen Vorschriften zufolge ist der Landerwerb ohne die schriftliche Zustimmung des Eigners verboten. Unter vollständiger Missachtung dieser Vorschriften hat der Staatssekretär des Industrie-Ministeriums dem Bezirksbeauftragten Weisung gegeben, den Unternehmern Land zur Verfügung zu stellen.
  7. Nach Artikel 4, Absatz (i) des PESA Act von 1996 [über die Selbstverwaltung in den Adivasi-Gebieten; vgl. Adivasi-Rundbrief Nr. 23, März 2005] muss vor dem geplanten Landerwerb für Projekte verschiedener Art die Gram Sabha [= Dorfvollversammlung] konsultiert werden. Das Verstoßen gegen diese Regelung ist zum besonderen Kennzeichen dieser Regierung geworden.
  8. In der von der Regierung verkündeten ‚Nationalen Politik für die Stämme’ wird die Enteignung angestammten Landes bei den registrierten Stämmen als Verstoß  gegen den V. Zusatz zur Verfassung bezeichnet.
  9. Die früheren Zusicherungen der Regierungsstellen haben nach dem  Abschluss der Vereinbarungen [mit der Industrie] überhaupt keinen Wert, wie aus dem Folgenden hervorgeht:

– Infolge von Entwicklungs- und Industrieprojekten, die seit der Erlangung der Unabhängigkeit [1947] auf unserem Land durchgeführt wurden, ist unser Bevölkerungsanteil von 70 Prozent auf 21 Prozent gesunken. Wenn jetzt noch die 41 angekündigten Industrieprojekte realisiert werden, werden wir vollständig ausgelöscht werden.

– Bei früheren Industrieprojekten haben Hunderttausende, die vertrieben wurden, keine Entschädigung erhalten. Laut einer Untersuchung des Indian Social Institute, New Delhi, sind 600.000 Menschen in keiner Weise und an keinem Ort rehabilitiert worden.

– Nach einem Bericht des Indian Bureau of Mines aus dem Jahr 1974, ist im Kolhan-Bezirk infolge von  40 kleineren und größeren Industrieanlagen und von 300 Bergbau-Projekten die Anzahl der Städte von 4 auf 24 gestiegen.“

Veröffentlicht in ‘Khan Khanij aur Adhikar’, der Hindi-Zeitschrift des Jharkhand Mines Area Coordination Committee (JMACC), December 2005. Übersetzung: Johannes Laping. Der gesamte Artikel wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift SÜDASIEN, Nr. 2-3/2006

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